Dirk Wittmer: Ich habe noch einmal gelernt, dass die Geschwindigkeit der Veränderungen den Menschen Angst macht und dass wir noch viel besser und intensiver erklären müssen, warum was gemacht wird. Sonst wird es zukünftig schwierig, geeignete Kandidaten für bestimmte Ämter zu finden.
Die Überraschung war allseits groß, als Sie nicht wieder in den Aufsichtsrat gewählt wurden - was ist passiert?
Viele Menschen sind heute aus den unterschiedlichsten Gründen voller Wut und artikulieren das auch. Man erlebt es ja gerade auch in der Politik. Neben den haltlosen persönlichen Angriffen eines einzelnen Kollegen – bedauerlicherweise mit gemeinschaftsschädlichem Effekt – gab es Unmut zu verschiedenen Themen. Diese wurden mir als Vorsitzendem zugeschrieben.
„Ich hätte den Fuß vom Gas nehmen sollen und viel mehr zuhören müssen", so der frühere Aufsichtsratsvorsitzende von Euronics Deutschland Dirk Wittmer
Haben Sie sich denn etwas vorzuwerfen?
Ja, ich hätte den Fuß vom Gas nehmen sollen und viel mehr zuhören müssen, was die Kollegen auch an dem Verhalten meiner Firma gestört hat. Wir sind in der Corona-Zeit auf zu viele Wettbewerbspreise in einigen Warenbereichen hier im Umfeld eingestiegen, um bloß keinen Kunden zu verlieren. Das hat viele andere Händler aufgebracht. Allerdings haben viele Kollegen auch eine idealisierende Erwartungshaltung an uns als Händler auf Grund meiner Funktion als Aufsichtsratsvorsitzendem gehabt. Die Kunden zahlen bei uns leider nicht mehr, wegen meinen Ämtern – sondern vergleichen uns mit den Preisen im Netz, wie bei jedem anderen Händler auch.
Wenn Sie die Zeit zurückdrehen könnten: Würden Sie etwas anders machen?
Ich würde mich viel mehr auf den eigenen Betrieb fokussieren und nicht so übermäßig viel Zeit für die Kooperation aufbringen. Da blieb manches liegen, wo ich hätte durchgreifen müssen.
Sie haben in der Tat viel Zeit und Arbeit in die Verbundgruppe investiert – sind ihre Händlerkollegen undankbar?
Nein gar nicht. Ich habe so viel Dank und Zuspruch von Kollegen nach der Versammlung dieses Jahr bekommen, das hat mich schon sehr bewegt.
„Es wird weniger Verbundgruppen mit höherer Effizienz und damit geringen Overheadkosten für ihre Mitglieder geben", prognostiziert Dirk Wittmer
Wie hat der Euronics-Vorstand auf das Wahlergebnis reagiert?
Ziemlich schockiert. Mancher hat bei der Entscheidung, zu Euronics zu kommen darauf vertraut, dass ich dies als Aufsichtsratsvorsitzender auch bei den nötigen mutigen Schritten mit einem starken Aufsichtsrat im Rücken begleite. Unsere Beschlüsse dafür waren ja weitestgehend einstimmig für die Strategie 2020-25 gefallen. Diesen Gestaltungswillen und -beitrag muss jetzt das neu gewählte Gremium leisten. Denn die Konzentration in der Lieferanten- und Handelslandschaft erfordert die Veränderung auf Kooperationsseite. Durch Angst verändert sich die Entwicklung nicht, sondern durch geschickte und flexible Anpassungsfähigkeit. Und das ist nicht eine Frage von großen oder kleinen Händlern – Gewinner gibt es überall.
Haben Sie das Gefühl, bei Euronics etwas „unfertig" hinterlassen zu haben?
Natürlich hätte ich die begonnenen Projekte gerne weitergetrieben, das ist schon echt schade. Aber ich bin ganz sicher, dass die gesetzten Themen trotzdem weiter voran gehen.
Hat dieser Einschnitt den Menschen Dirk Wittmer verändert?
Nein, wirklich nicht. Ich habe mich immer mit ganzer Energie für die Euronics eingesetzt und die handelnden Menschen waren und sind mir unverändert wichtig.
Was fängt man mit der ganzen Zeit an, die Sie jetzt nicht mehr „für Ditzingen" arbeiten?
Wo soll ich anfangen? (Lacht.) Es gibt so viel zu tun, es gibt keine Langeweile, ob im eigenen Betrieb, im BSH-Mittelstandskreis oder im Stadtmarketing meiner Heimatstadt Ratingen und dem Handelsverband NRW-Rheinland ist Einsatz gefragt. Und natürlich freuen meine Frau und ich uns nach den vielen Euronics- Jahren nun auf etwas mehr gemeinsame freie Zeit.
Immer was los: Der Unternehmer als Regisseur im eigenen Laden
Sie feiern in Kürze Wiedereröffnung nach Umbau. Ist Ihr Geschäft in Ratingen ein Euronics-Vorzeigegeschäft?
Ja und nein. Der Fachmarkt ist für uns ein Betriebstyp von gestern. Ware nicht angeschlossen auf Stapeln oder in Regalen in großer Auswahl zum Wegnehmen mit Kostensynergien günstiger anzubieten ist vorbei. Die größte Auswahl wie auch den besten Preis gibt's heute europaweit im Netz zu kaufen. Jeder Händler muss in seinem Wettbewerbsumfeld wissen, wie er relevante Kundengruppen, von denen er mit seinem Leistungsangebot leben kann, erreicht. Insofern wollen wir kein statischer Vorzeigeladen sein, sondern ein sich ständig weiter entwickelter Showroom mit Attraktivität für unsere Kunden – immer wieder neu Ware, Geräte und Innovationen live zu erleben, zum Schmecken, Riechen, Hören, Fühlen und Sehen. Allerdings alles auch zum sofort Mitnehmen, liefern lassen oder Click und Collect. Der Kunde entscheidet, wie und wann. Dazu gibt es ein eigenes Serviceunternehmen, das installiert, repariert, einbaut und wartet. Wir haben noch viel vor.
Worauf kommt es in Zukunft als stationärer „Einzel"-Händler, also unabhängiger Unternehmer, im Handel, an?
Im Kontakt mit den Kunden sein und bleiben. Man muss dort hingehen, wo der Kunde ist und einen echten Mehrwert bieten. Wer den Kontakt mit echtem Nutzenverhältnis zum Kunden hat, ist der Gewinner. Das offene Ladengeschäft ist dann eine Ergänzung im Multichannel-Handel. Es ist Treffpunkt und bietet mit Vorführungen und Aufenthaltsqualität Erlebnisse für alle fünf Sinne. Top geschultes Personal begeistert die Kunden mit kuratiertem Einkaufen. Die persönliche Empfehlung eines empathischen sachkundigen Verkäufers wird in einer Welt von digitalen Kundenbewertungen eine oft wesentliche Entscheidungshilfe sein, das zu mir optimal passende Gerät zu finden. Der Unternehmer ist nicht nur Kaufmann, sondern Regisseur von sich ständig veränderten Präsentationen und Aufführungen. Im Rahmen der Öffnungszeiten und der Jahreszeiten verändert sich die Kauffläche mit immer neuen Warengruppen und Innovationen.
euronics XXL Johann+Wittmer in Ratingen feiert am 12. Mai 2023 Neueröffnung nach Umbau
Was heißt das für die Geschäftsmodelle?
Geschäftsmodelle werden miteinander verschwimmen und damit auch die Einnahmenarten bei den Akteuren. Das Zeigen und Beraten von Ware wird unabhängig vom Kauf honoriert, wenn das Geschäft mit dem Gesamtkonzept genug Kundenfrequenz erzeugt bzw. hat. Es wird wieder Provisionssysteme geben, weil man für einen Hersteller verkauft. Multimarkenstores werden zum Teil eine höhere Frequenz als Monomarkenstores mit hohen Kosten in 1A-Lagen haben. Ausnahmen werden nur absolute A-Marken mit extrem hoher Markenbeliebtheit sein.
Wie sieht die Verbundgruppenlandschaft im Elektronikhandel in 5 Jahren aus?
Auch wenn ich mir eine unkonventionelle Gründungsinitiative von Verbundgruppen und staatliche Rahmenbedingungen - vom Bildungssystem bis zur Finanzierungunterstützung - für Neugründungen und Unternehmensnachfolge wünsche, glaube ich an eine positive Entwicklung von 1. weniger Händlern mit 2. intensiver Partnerschaft und mit 3. weniger Lieferanten. Es wird weniger Verbundgruppen mit höherer Effizienz und damit geringen Overheadkosten für ihre Mitglieder geben. Marketing und Vertrieb sind dabei unter Auswertung aller relevanten Daten eng miteinander verzahnt.
Was wünschen Sie Ihrem Nachfolger bei Euronics, dem neuen Aufsichtsratsvorsitzenden Frank Schipper?
Ich wünsche ihm ganz viel Erfolg und den Mut, neue Wege zu gehen, auch wenn man sich damit nicht immer nur beliebt macht.
Herr Wittmer, vielen Dank für das Gespräch.
FOTOS: HITEC
Autor: Joachim Dünkelmann
Dieser Artikel ist am 9. Mai 2023 erstmals erschienen in der Printausgabe von hitec Magazin, Ausgabe 5 / 2023.