hitec: Herr Schnur, was kam Ihnen länger vor: 20 Jahre telering Kooperation oder 25 Jahre beim Großhändler Alexander Bürkle?
Franz Schnur: Seit meinem Berufsstart im Jahre 1974 konnte ich erleben, wie sich unser Markt in diesen vielen Jahren veränderte. Meine berufliche Mission hatte stets das Ziel vor Augen, diese Veränderungen dynamisch zu begleiten, mitzugestalten und dabei den Werten des 3-stufigen Vertriebs treu zu bleiben. Mit Blick in den Rückspiegel vergingen somit die Jahre bei Alexander Bürkle in Freiburg als auch hier bei telering und Weltfunk in Mainz ausgesprochen schnell, manchmal sogar viel zu schnell.
Ihre Kunden beziehungsweise Mitglieder sind kleinere, inhabergeführte Betriebe. Sind die alle krisenfest? Oder erwarten Sie jetzt eine Pleitewelle?
Die noch vor wenigen Monaten verwaisten Innenstädte und die geschlossenen Geschäfte während des Lockdowns haben uns doch vor allem eines vor Augen geführt: Der stationäre Fachhandel ist für unsere Gesellschaft unverzichtbar. Das Corona-Virus hat nicht nur das soziale Miteinander, sondern auch das Konsumverhalten der Menschen verändert. Unsere Fachhändler erfreuten sich einer Welle der Solidarität: Ihr Angebot, auch bei geschlossenem Laden zu beraten, zu liefern und zu reparieren, wurde sehr gut angenommen. Der Fachhandel genießt in seinem lokalen Umfeld einen riesigen Vertrauensvorschuss und kennt auch die örtlichen Gegebenheiten wie Energieversorgung, Wasserqualität, Internet-Bandbreiten und die digitalen Empfangsmöglichkeiten. Somit führt er ein auf die Bedürfnisse seiner Mitbürger und deren Lebensgewohnheiten zugeschnittenes Sortiment. In der Marketing-Sprache würde man sagen: Der USP des IQ-Fachhändlers ist er selbst. Da lokale Wertschöpfungsketten nicht nur nachhaltig sondern auch widerstandsfähig sind, erwarte ich keine Pleitewelle.
„Regiebetriebe sind dort, wo andere Nachfolgelösungen, aus unterschiedlichsten Gründen, scheitern, auch aus meiner Sicht ein akzeptables Mittel einer fachhandelsorientierten Standortsicherung", so Franz Schnur
Sie propagieren immer, die telering-Fachhändler wären besonders leistungsstark, kundennah, qualitätsorientiert. Ist das Realität oder Anspruch?
Damit unser Konzept nicht als leere Reklameformel oder Worthülse angesehen wird, ist es für alle Beteiligten auch in Zukunft die Aufgabe, dieses Leistungsversprechen immer wieder neu zu erfüllen und dauerhaft zu beweisen. Natürlich fällt Qualität nicht vom Himmel. Von einem bekannten deutschen Fußballtrainer stammt der Ausspruch „Qualität kommt von Qual". Ein Stückchen Wahrheit steckt schon darin. Um Qualität zu erreichen und zu halten, braucht es immer wieder Einsatz, Mut, Entschlossenheit und Vertrauen in die eigenen Kräfte.
Gerade in der heutigen Zeit, in der alles überall und zu jeder Zeit im Überfluss und für wenig Geld verfügbar erscheint, ist „IQ – Immer Qualität" ein ungeheures Versprechen. Angesichts der Unmenge an minderwertigen Waren, immer kurzlebigerer Modetrends und Produktzyklen ist bei anspruchsvollen Verbrauchern der Wunsch nach hervorragender, langlebiger Produktqualität und einzigartigen Dienstleistungen sehr ausgeprägt. Diese Kunden erwarten von einem Fachgeschäft daher nicht nur mehr und Besseres als anderswo, sondern sie sind auch bereit, mehr dafür zu bezahlen.
Was ist der größte Fehler des Fachhandels?
Ratlosigkeit und Sprachlosigkeit bis hin zur Resignation haben im Fachhandel jahrzehntelang beispielsweise den Aufstieg der Discounter begleitet. Wie will man gegen einen Werbeetat von 500 Millionen Euro ankämpfen? Meine Antwort hierzu lautet: Raus aus der Vergleichbarkeitsfalle, gehen sie konsequent Ihren Weg! Wer sich allein über den Preis definiert, begibt sich in eine Falle und wird schlimmstenfalls in einen zerstörerischen Preiskampf hineingezogen. Deshalb müssen sich Fachgeschäfte so positionieren, dass sie aus den Niederungen, in denen Rabattschlachten toben und Schnäppchenjäger herumpirschen, deutlich herausragen. Die Entwicklung einer unverwechselbaren Unternehmenspositionierung ist eine Pflicht für jeden Unternehmer, für jeden Fachhändler, für jedes Fachgeschäft! Und diese Pflicht wird oftmals ignoriert, was ganz bestimmt der größte Fehler im Fachhandel ist.
Viele Hersteller suchen den direkten Weg zum Kunden und betreiben oder planen mehr oder weniger offen Direktvertrieb. Gibt es auf Industrieseite noch so was wie echte Partner des Handels?
Ich kenne (viele) echte Partner des Handels. Aber ich schätze natürlich die echten Partner des FACH-Handels – jawoll, die gibt es. Es ist doch in unserer Branche augenblicklich sehr spannend, wie gerade der Fachhandel wieder von Herstellern hofiert wird, die in „besseren Zeiten" unseren Absatzkanal nicht mehr im Fokus ihrer Vertriebsausrichtung hatten. Echte Partner des Fachhandels in den Reihen unserer Lieferanten zeichnen sich schon immer dadurch aus, dass für sie die Devise gilt: „In guten wie in schlechten Zeiten"!
„Viel zu häufig sehen Industrie und Handel die Menschen nur als hirn- und hemmungslose Konsumenten, die alles kaufen, wenn nur der Preis stimmt, was doch nachweislich nicht der Fall ist", stellt Schnur fest
Der dreistufige Vertrieb ist schon oft totgesagt worden. Wo liegt die „Lebensberechtigung" des Großhandels?
Mit ihrem engmaschigen Netz an Niederlassungen gewährleisten unsere Großhandelsbetriebe eine optimale Betreuung von ca. 30.000 Facheinzelhändlern, Handwerks- und Industriebetrieben. Unser Markt ist seit jeher extrem dynamisch. Die Weltfunk war schon immer bereit, die unterschiedlichsten Herausforderungen anzunehmen. Dank der erfahrenen, bestens ausgebildeten Mitarbeiter unserer Großhandelshäuser sind wir in der Lage, Waren und Dienstleistungen nicht nur schnellstmöglich, zuverlässig und zu wettbewerbsgerechten Konditionen bereitzustellen. Durch die profunden Produkt- und Marktkenntnisse ist unser Großhandel auch ein unverzichtbarer Partner. Gerade auch die Corona Pandemie stellt das eindeutig unter Beweis.
Eines Ihrer Weltfunk-Mitglieder forciert derzeit als Großhändler eigene Einzelhandelsgeschäfte als Regie-Betriebe. Was halten Sie davon?
Regiebetriebe sind dort, wo andere Nachfolgelösungen, aus unterschiedlichsten Gründen, scheitern, auch aus meiner Sicht ein akzeptables Mittel einer fachhandelsorientierten Standortsicherung. Probleme, die sich womöglich im jeweiligen Wettbewerbsumfeld hierdurch ergeben können, sehe ich auch deshalb nicht, weil ich mir sicher bin, dass vor jeder Entscheidung hierzu eine umfangreiche Wettbewerbsanalyse durchgeführt wird. Deshalb wünsche ich Herrn Robert Drosdek aus dem Hause Brömmelhaupt und seinem Konzept „Wir lieben Technik", dass es auch zukünftig dazu nie kommen wird.
Bitte vervollständigen Sie den Satz „Bürokratieabbau ist für den Mittelstand ... "
...ein dringend notwendiger Schritt für die unternehmerische Freiheit"" Ein gewisses Maß an Bürokratie ist für einen Rechtsstaat unerlässlich und auch die damit einhergehende Rechtssicherheit. Zu viel Bürokratie schränkt aber auch immer die unternehmerische Freiheit ein. Unternehmer müssen sich auf ihr Geschäft konzentrieren können und sollten sich nicht mit endlos viel Bürokratie herumschlagen müssen. Weniger ist hier Mehr.
Was werden Sie an der Branche garantiert nicht vermissen?
Das mangelhafte Gespür für einen nachhaltigen und wertorientierten Konsum! Einfach deshalb, weil Rabattschlachten Werte vernichten und die vertrauensvollen Beziehungen zwischen Händlern und Kunden auf Dauer zerstören. Viel zu häufig sehen Industrie und Handel die Menschen nur als hirn- und hemmungslose Konsumenten, die alles kaufen, wenn nur der Preis stimmt, was doch nachweislich nicht der Fall ist.
Herr Schnur, herzlichen Dank für das Gespräch.
FOTOS: TELERING
Das Gespräch führte: Joachim Dünkelmann
Dieser Artikel ist am 3. November 2020 erstmals erschienen in der Printausgabe von hitec Magazin, Ausgabe 11/2020.