Susanne Harring: Wenn ich auf meine bisherige Karriere zurückblicke, dann würde ich nicht sagen, dass es ganz konkrete Hindernisse gab, die mich zurückgehalten haben, weil ich eine Frau bin. Allerdings fand ich mich immer wieder in Situationen wieder, in denen definitiv die existenten strukturellen Probleme sehr deutlich wurden. Das können vermeintliche Kleinigkeiten sein. Etwa, wenn man beim Branchentreff mit über 140 Teilnehmenden eine von zwei Frauen ist und sich sämtliche Ansprachen nur an die Herren im Raum richten und auch sonst auf Executive-Level nur Männer zu sein scheinen. Man merkt einfach, dass die Branche seit jeher sehr männerdominiert ist. Überspitzt gesagt, trifft man eher den fünften Thomas in der obersten Etage als eine weitere Frau.
Sie wollen mehr Frauen in verantwortlichen Positionen. Was muss sich aus Ihrer Sicht ändern? Und: Brauchen wir auch in der Wirtschaft Frauenquoten?
Grundsätzlich muss ich sagen: Das Schaffen von Diversität fängt immer ganz oben an. Ein diverses Führungsteam fördert diverse Teams und damit eine diverse Belegschaft. Daher gibt es aus meiner Sicht keinen anderen Weg, als verpflichtend divers zu besetzen. Ich war lange Zeit keine Befürworterin der Frauenquote, da ich annahm, dass sich Qualität und Leistung fair durchsetzen würden – unabhängig vom Geschlecht. Mittlerweile sehe ich das anders und treffe bei der Besetzung von Posten nach Check der Qualifikationen und Kompetenzen bewusst Entscheidungen pro Vielfalt. Um im Bild zu bleiben: Ein Thomas stellt eher einen weiteren Thomas ein, in dem man sich wiederfindet, als jemanden, die oder der von der gewohnten und vermeintlich sicheren Wahl abweicht. Diesen Kreislauf durchbreche ich bei De'Longhi Deutschland sehr erfolgreich.
"Ich forciere Vielfalt in der Führungsebene und in den Leveln darunter aktiv, weil es uns als Unternehmen voranbringt."
Was tun Sie bei De'Longhi, um Frauen und auch andere unterrepräsentierte Talente zu fördern?
Als Geschäftsführerin liegt es an mir, mein Führungsteam möglichst divers zu besetzen, um eine bunte Kultur und ein vielschichtiges Team aufzustellen. Dauert so eine Besetzung länger? Ja. Ist es unmöglich? Natürlich nicht! Dabei hilft es im Übrigen, wenn der Auswahlprozess nicht nur durch rein männlich oder rein weiblich besetzte Teams erfolgt. Auch sie haben ihre blinden Flecken und Vorurteile. Das ist nur menschlich. Aber eben etwas, dessen man sich bewusst sein sollte. Diversity ist für mich keine Box auf einer To Do List der Political Correctness, die ich einfach so abhake. Ich forciere Vielfalt bei De'Longhi Deutschland in der Führungsebene und in den Leveln darunter aktiv, weil es uns als Unternehmen voranbringt.
Welchen Karriere-Tipp haben Sie für junge Frauen?
Kurz: Versteift euch nicht. Karriere lässt sich nicht planen, aber Ziele lassen sich verfolgen! In meiner Anfangszeit bei Philips bin ich eher über Umwege im B2BVertrieb für professionelle Leuchtmittel gelandet. Gefühlt ein Rückschlag, da es definitiv nicht meine erste Wahl war, aber auch eine Herausforderung, die ich annehmen konnte, um dort zu lernen, mich zu beweisen und dann für die nächsten Schritte zu empfehlen. Erkenntnis damals wie heute für mich: Es lohnt sich, Neues auszuprobieren, keine allzu feste Vorstellung von der eigenen Karriereplanung zu haben und sich von stereotypen Wegen zu lösen. Mit 42 Geschäftsführerin der deutschen Niederlassung eines italienischen Familienunternehmens zu sein, stand zu meiner Schulzeit nämlich nicht als mein Berufswunsch in den Poesie- und Freunde-Alben.
Sie sprechen fließend italienisch. Macht das in einem italienischen Familienunternehmen den Unterschied?
Bei De'Longhi pflegen wir national wie international eigentlich Englisch als Business-Sprache für den Alltag. Es ist aber trotzdem hilfreich bei meinen Reisen in die Konzernzentrale, wenn man sich auch abseits davon vor Ort verständigen und komplett in die Kultur eintauchen kann. Man kennt es ja, in der Übersetzung geht immer etwas an Wortwitz, Verve oder auch Emotion verloren. So kann ich meiner Liebe zu Land, Sprache und Leute auch im Alltäglichen immer wieder Ausdruck verleihen. Und die Kolleginnen und Kollegen in Treviso freut es auch.
Wie bewerten Sie die Entwicklung von De'Longhi in den letzten Jahren im Fachhandel und welche Gründe gibt es dafür?
Die letzten Jahre waren für uns ausgesprochen erfolgreich. Wir haben natürlich – wie viele andere auch – vom Cocooning-Trend während Corona profitiert. 2021 und 2022 entfielen etwa 50 Prozent des Wachstums im Segment der kleinen Haushaltsgeräte auf uns mit den Marken De'Longhi, Braun und Kenwood. Zu Pandemiezeiten wurde zu Hause viel mehr Kaffee getrunken und die Menschen legten mehr Wert auf eine gute Zubereitung. Dementsprechend sind Vollautomaten für De'Longhi auch weiterhin am bedeutendsten, wobei Siebträger zuletzt zweistellige Wachstumsraten verzeichneten. Der Fachhandel war, ist und bleibt dabei für uns eine zentrale Säule unserer Vertriebsstruktur und ist ein sehr wichtiger, geschätzter Partner. Denn wenn der Handel etwas gut kann, dann verkaufen und der Kundschaft neue Entwicklungen schmackhaft machen.
"Wenn der Handel etwas gut kann, dann verkaufen und der Kundschaft neue Entwicklungen schmackhaft machen."
Sie haben jetzt die nächste Kampagnenschleife gestartet, welche Themen soll der Handel jetzt in den Fokus stellen?
Trotz der angespannten Wirtschaftslage sehen wir nach wie vor eine Tendenz zu hochpreisigen Geräten, bis rauf ins Premiumsegment. Hier können und wollen wir mit unserer großen Bandbreite anknüpfen. Deshalb unterstützen wir unsere Handelspartner schon kontinuierlich, freuen uns aber besonders, wenn wir das im Rahmen einer großen Kampagne mit umso mehr Schlagkraft tun können. Wenn die Perfetto-Kampagne mit Brad Pitt live geht, unterstützen wir das über den gesamten Kaufentscheidungsprozess, von Online bis an den POS.
Wieviel Potenzial steckt noch in Cold Brew?
Wir sind nach wie vor mittendrin in der Third Wave of Coffee. Die Konsument:innen achten auf die Qualität der Bohnen, beschäftigen sich mit der individuellen Zubereitung und probieren gerne neue Kaffeeoptionen aus. Cold Brew fällt genau in dieses für viele spannende Experimentierfeld.
De'Longhi war einer der ersten Werbepartner, der bei Netflix Werbespots eingespielt hat. Wie bewerten Sie das Engagement und welche Perspektive sehen Sie?
Als sich Ende 2022 die Möglichkeit bot, zum Start von „Netflix Basic" dabei zu sein, haben wir das Potential sofort gesehen. Für uns war die Zusammenarbeit mit Netflix und der Mediaplus Group eine große Chance, Zielgruppen anzusprechen, die über klassische TV-Werbung nicht mehr erreicht werden können. Dabei zusammen mit Marken wie BMW, Hornbach oder auch MediaMarkt Saturn zu den ersten Werbepartnern für den deutschen Markt zu gehören, war auch eine Bestätigung unseres Ansatzes, neue Wege zu gehen und dabei auch gerne ganz vorne mit dabei zu sein.
Ist Brad Pitt als Ihr bester Außendienstmitarbeiter eigentlich ein umgänglicher Partner?
Wir schätzen die Zusammenarbeit mit Brad Pitt sehr und freuen uns außerordentlich, dass wir im Oktober unsere neue Kampagne erneut mit und um ihn herum stattfinden lassen können. Dieses Mal lassen wir unseren Star sogar sprechen, denn wir konnten seinen deutschen Synchronsprecher, Tobias Meister, für den Spot gewinnen. Das zahlt natürlich auf die Wiedererkennbarkeit ein. Man verknüpft Brad mittlerweile fast so sehr mit De'Longhi wie George Clooney mit Nespresso. Für den Dreh haben wir dieses Mal allerdings etwas getrickst. Auch wenn der Spot stimmungsvoll ist und eine vielschichtige Geschichte erzählt, die das italienische Lebensgefühl unserer Marke unterstreicht – gedreht wurde dann doch in Südfrankreich. Für Brad tat das aber keinen Abbruch, wie ich gehört habe. Er hat die Zeit mit uns ebenso sehr genossen wie wir mit ihm und freuen uns auf die Kampagne im Herbst und Winter.
Frau Harring, vielen Dank für das Gespräch.
FOTOS: DE'LONGHI
Autor: Steffen Kahnt
Dieser Artikel ist am 4. Oktober 2023 erstmals erschienen in der Printausgabe von hitec Magazin, Ausgabe 10 / 2023.