Özcan Karadogan
"Baukastenprinzip"

Öfter, als mancher glaubt, haben Elektroprodukte Vestel „unter der Haube". Der türkische Hersteller produziert selbst für bekannte A-Marken. In der DACH-Region lenkt seit 2007 Özcan Karadogan die Geschäfte von Vestel Germany. Der Diplom-Betriebswirt (FH) hat einen Handelshintergrund, war bei Media-Saturn und Quelle. Wenn er sich nicht gerade in der Kommunalpolitik engagiert, arbeitet er im Vorstand vom Fachverband CE im ZVEI oder im Beirat des Fachverbands Haushaltsgroßgeräte mit. Im hitec-Interview erklärt er das „Baukastenprinzip" von Vestel, spricht über Marken und Händler-Wünsche.
hitec: Herr Karadogan: Wie viele Ihrer Käufer wissen eigentlich, dass Sie ein Vestel-Produkt gekauft haben?

Özcan Karadogan: Der Endverbraucher weiß es vielleicht nicht – aber unsere Kunden natürlich. Seit über 3 Jahren gibt es in Deutschland von Vestel Elektro-Großgeräte und auch bei Digital Signage verwenden wir die Marke. In Summe liegt der Anteil der Produkte aber deutlich unter 20 Prozent. Lizensierte Marken wie Toshiba, JVC, Hitachi und Telefunken haben einen weit größeren Anteil. Darüber hinaus gibt es die OEM-Marken unserer Kunden, wo wir ebenfalls nicht in Erscheinung treten.

Welche Rolle spielen Lizenzmarken wie Toshiba oder Telefunken für Sie – und würden Sie nicht lieber unter eigenem Label verkaufen?

Unser Konzept ist eigentlich mit keinem anderen Hersteller vergleichbar. Eine Marke insbesondere auf dem deutschen Markt zu etablieren erfordert ein sehr hohes Marketing-Investment, über Jahre hinweg im zweistelligen Millionenbereich. Unsere Versuche mit den Marken SEG und Graetz haben nicht funktioniert, deshalb haben wir uns anders positioniert. Wir haben uns vor langer Zeit entschieden, als reiner Hersteller zu agieren und dieses Konzept unseren Kunden klar kommuniziert: Wir liefern das richtige Produkt zum richtigen Zeitpunkt mit dem richtigen Preis in bester Qualität. Aber wir kümmern uns nicht um Werbung und Marketing – das ist nicht unsere Stärke.


„Es werden sich weitere Markenanbieter von der Produktion verabschieden."

Was ist denn Ihre Stärke?

Unsere im Markt einzigartige Positionierung als Hersteller im Baukastenprinzip. Wenn man sich die Entwicklung vieler Hersteller-Marken ansieht, die früher groß und bedeutend waren, ist das ein Beleg für unsere Strategie. Es werden sich in naher Zukunft noch weitere Markenanbieter von der Produktion verabschieden. Der Vestel Konzern hat übrigens über 400 Marken weltweit im Portfolio, die unsere Kunden für ihre Märkte nutzen können.

Kann Vestel mit den Konzernen aus Fernost Schritt halten?

Im Bereich Elektro-Großgeräte und TV haben wir selbst die Kernkompetenz mit hunderten Ingenieuren in der Fabrik. Hier können wir jede technologische Entwicklung mitmachen und es gibt eine Reihe von Entwicklungen, die es nur und exklusiv bei Vestel gibt. Jedes Jahr auf der IFA präsentieren wir neue Rekorde, sei es bei Waschmaschinen oder Geschirrspülmaschinen, Geräuschentwicklung, Wasser- oder Stromverbrauch. Hier können wir weltweit mehr als nur mithalten.

Wenn Ihnen vor 5 Jahren jemand erzählt hätte, Xiaomi würde Apple bei Smartphones überholen – was hätten Sie gesagt?

Ich habe die Entwicklung vorhergesagt. Wir haben vor einigen Jahren auf der IFA stolz das erste türkische Handy präsentiert und ich habe damals daran geglaubt. Bei einigen Bauteilen ist man allerdings abhängig und deshalb ist es schwierig, wenn man nicht ganz nah an der Quelle sitzt. Bei bestimmten Komponenten sind kürzere Wege und bessere Preise und nicht zuletzt staatliche Unterstützung erfolgsentscheidend. Wir müssen als privates Unternehmen profitabel arbeiten. Deshalb sind wir bei Smartphones oder auch LED-Beleuchtung wieder herausgegangen.

War die Corona-Zeit geschäftlich gesehen eine gute Zeit für Vestel?

Die Weltuntergangsszenarien zum Beginn der Pandemie sind nicht eingetreten. Die Branche hat durchaus profitiert. Wir konnten nicht so stark an dem Wachstum teilhaben wie einige Wettbewerber, haben uns aber stabil entwickelt. Wir hätten mehr verkaufen können, wenn mehr Ware verfügbar gewesen wäre. Wie die Automobilindustrie sind auch wir von bestimmten Zulieferern abhängig. Die Corona-Zeit hat gezeigt, dass wir in Europa wieder lernen müssen, weniger vom Ausland abhängig zu sein und in Schlüsselbereichen wieder unabhängiger zu sein.

Die Lockdownphasen haben den Handel kräftig durchgeschüttelt. Wer ist hier aus Ihrer Sicht am besten aufgestellt?

Echtes Multi-Channel ist ein Erfolgsmodell. Dabei ist das Thema ja nicht neu, aber nicht alle haben es erfolgreich umsetzen können. Einige haben es bis heute noch komplett verschlafen, dafür waren andere Ihrer Zeit weit voraus. Würde es Quelle heute noch geben, wäre das Unternehmen auf der Gewinnerseite.

Wenn Sie sich einen Wunsch-Handelspartner „malen" könnten – wie sähe der aus?

Das brauchen wir gar nicht, denn wir können mit unserem Baukasten alle Wünsche erfüllen. Vestel als Viel-Marken-Anbieter und OEM-Lieferant ist da einzigartig. Die Auswahl an Produkten und Features, aber auch bei den Services ist sehr groß. Unser Kunden-Portfolio ist so breit gefächert und trotzdem haben wir für alle eine Lösung. Selbst wenn wir für den Kunden auch Logistik und Service übernehmen sollen. Wir kennen den Markt lange und sind sehr nah an unseren Kunden. Das unterscheidet uns von manchem asiatischen Wettbewerber. Zudem behandeln wir jeden Kunden gleich.

Lieferengpässe sind ein heißdiskutiertes Thema. Haben wir in der Saison genug Ware?

Wir versuchen, im TV-Bereich genug Ware verfügbar zu haben. Sicher ist, dass die Panel-Preise steigen. Bei Großgeräten werden wir die Kapazitäten im Bereich Kühlen und Geschirrspülen ausbauen. Hier wollen wir auf jeden Fall eine Verfügbarkeit sicherstellen.

Haben Sie die IFA 2021 vermisst?

Wir präsentieren seit Jahren auf der IFA Produkte unter unserer Dachmarke Vestel. In Berlin zeigen wir die gesamte Breite an Technologien und Innovationen. Die IFA ist sehr wichtig für uns. Für uns ist die Bedeutung sicherlich eine andere, als bei den Markenanbietern. Für uns ist es eine globale Messe, bei der wir all unsere B2B-Kunden treffen. Natürlich zeigen wir Innovationen, aber es geht auch um Kundenkontakte. Messen verändern sich und wie beispielsweise bei der IAA wird sich auch bei der IFA einiges ändern können, sollen und müssen. Aber für mich steht außer Frage: Wenn die IFA 2022 stattfindet, sind wir dabei.


„Der Handel sollte in neue Geschäftsbereiche investieren."

Elektromobilität und damit die Lade-Infrastruktur ist in aller Munde. Welches Potenzial sehen Sie hier für den Elektro-Fachhandel?

Bei eCharging haben wir frühzeitig auf das richtige Pferd gesetzt. Deutschland wird für die erforderliche Lade-Infrastruktur noch viele Milliarden investieren müssen. Vestel ist mit seinen Wall-Boxen gut aufgestellt und liefert beispielsweise exklusiv an E.ON. Auch bei E-Tankstellen sind wir gut positioniert. 2023 wird das erste türkische Elektro-Auto auf den Markt kommen und Vestel ist in dem Konsortium mit dabei – wir liefern Hardware wie Displays, aber auch Software für das Bediensystem.

Für den Handel gibt es bei Elektromobilität verschiedene Ansätze. Wir liefern unsere Wall-Boxen als Handelsware, auf Wunsch auch unter der Marke des Händlers. Aber viel wichtiger erscheint mir für den stationären Handel, seine Parkplätze mit Elektro-Tanksäulen aufzurüsten.

Sie bieten Lösungen auch für Nischenprodukte wie Camping-TVs an. Lohnen sich Nischenprodukte für den Händler?

Was ist denn morgen ein Nischenprodukt? Die ganze Branche muss sich fragen, ob wir in 10 Jahren überhaupt noch klassische Fernseher verkaufen werden. Der Kunde verändert sein Mediennutzungsverhalten grundlegend. Schon heute sollte auch der Handel in neue Geschäftsbereiche investieren. Viele Produkte von Vestel entstehen nach den Wünschen des Handels. Bei Digital Signage ist es zum Beispiel ähnlich wie bei E-Charging: Der Handel sollte die Möglichkeiten zum Einsatz im eigenen Geschäft nutzen – und was man selber nutzt, kann man auch verkaufen.

Wie wichtig sind aus Ihrer Sicht die Themen Nachhaltigkeit und Energieeffizienz bei der Kaufentscheidung?

Wichtig, vor allem bei Großgeräten. Wir sind zwar vorwiegend im Preiseinstiegsbereich unterwegs, aber der Kunde setzt auch dort Qualität und Sparsamkeit voraus. Außerdem produzieren wir ja auch für einige bekannte A-Marken. Aber die Diskussion um Nachhaltigkeit hat mehrere Ebenen – übrigens auch im Industrieverband ZVEI. Die neuen Energieeffizienzklassen sorgen natürlich für Erklärungsbedarf beim Kunden. Wer seit 20 Jahren ein Großgerät einer bestimmten Marke hat, muss sich bewusst sein, dass es in Bezug auf die Verbrauchswerte bei weitem nicht mehr dem heutigen Standard entspricht. Die Haltbarkeit ist nur ein Aspekt, genau wie Reparaturfähigkeit. Man muss sich auch fragen, ob ein moderneres Gerät durch Ersparnis von Strom und Wasser nicht letztlich besser ist für die Umwelt. Aber auch hier richten wir uns vollständig nach unseren Kunden und können alle gewünschten Kriterien liefern. Fast alle.

Herr Karadogan, vielen Dank für das Gespräch.

FOTOS: VESTEL GERMANY

Autor: Joachim Dünkelmann

 Dieser Artikel ist am 5. Oktober 2021 erstmals erschienen in der Printausgabe von hitec Magazin, Ausgabe 10/2021.

 

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Özcan Karadogan, Interview des Monats, Vestel Germany

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