hitec: Hat Corona die Messewirtschaft verändert – oder nur die Entwicklung beschleunigt?
Oliver Merlin: Ein bisschen von beidem. Während der Pandemie gab es deutlich wichtigere und tragischere Umstände, die die Menschen beschäftigt haben. Und das spiegelte sich auch ein wenig in der Reaktion der Branche auf die virtuellen Messeformate wider. Die geringe Qualität der digitalen Alternativen hatte zur Folge, dass es dunkle Jahre waren - zumindest für Messen. Wissenskonferenzen schnitten aus offensichtlichen Gründen etwas besser ab.
Was heißt das für die Zukunft?
Was die heutige Situation betrifft, so sind vor allem zwei Dynamiken im Spiel, die für eine Messe wie die IFA überwiegend positiv sind. Zum einen gibt es nach einem Schock wie dem, den wir erlebt haben, in der Regel eine „Flucht in die Qualität". Für eine Veranstaltung wie die IFA, die den ersten Platz unter den weltweit wichtigsten CE- und Hausgeräte-Messen einnimmt, ist das natürlich eine gute Nachricht. Angesichts des
„Wir werden in den kommenden Veranstaltungen viele Innovationen zeigen, die die Phantasie beflügeln."
derzeitigen Inflationsdrucks, der weithin zu spüren ist, werden die Euros und Dollars der Menschen immer umsichtiger ausgegeben. Zweitens haben uns die letzten Jahre gezeigt, dass es nichts Besseres gibt als den persönlichen Kontakt, und das gilt besonders für produktbezogene Veranstaltungen. Das Team hat außerordentliche Arbeit geleistet, um eine Messe in der Qualität und Größe von 2022 auf die Beine zu stellen, und 2023 werden Sie sehen, wie sich diese Entwicklung fortsetzt und beschleunigt.
Unterscheiden sich Messen in Deutschland von Veranstaltungen beispielsweise in Asien oder den USA?
Ja und nein. Ich und mein Team haben Veranstaltungen in der Messe Berlin, in anderen Messehallen und auf der ganzen Welt durchgeführt. In der Regel haben wir auf marktführenden Veranstaltungen gearbeitet, bei denen immer ein hohes Maß an Qualität und Kundenerfahrung verlangt wird. Ich denke jedoch, dass die Durchführung einer Messe in Deutschland mit ihrer langen Geschichte an operativer Strenge, Exzellenz und Qualität bedeutet, dass man gerade hierzulande diese Elemente ganz oben auf die Tagesordnung setzen muss.
Ist eine Ordermesse noch zeitgemäß?
Ja, natürlich. Einige der erfolgreichsten Erholungsgeschichten nach der Pandemie waren die Ordermessen. Es besteht kein Zweifel daran, dass die Möglichkeiten und die Bandbreite einer Messe, so viele Produkte und Anbieter an einem Ort zu versammeln, einzigartig sind. Im B2B-Bereich gibt es keine Alternative, die dem auch nur annähernd gleichkommt. Das heißt aber nicht, dass wir uns mit klassischen Formaten zufriedengeben sollten Wir suchen ständig nach neuen technologischen Lösungen. Aber die IFA war nie nur eine Ordermesse und wird sich weiterentwickeln. Wir werden in den kommenden Veranstaltungen viele Innovationen zeigen, die die Phantasie beflügeln und inspirieren.
Was kann Clarion Events besser als die Messe Berlin?
Ich denke nicht, dass es darum geht, Dinge besser oder schlechter zu machen. Wir haben mit der gfu einen exzellenten Partner, einen Veranstaltungsort von Weltklasse und einen Betreiber wie die Messe Berlin, was nur wenige Orte bieten können. Wir bieten von unserer Seite breite Unterstützung, neue Ideen und vielfältige Erfahrungen, die ein internationaler Veranstalter wie Clarion mitbringt. Und, was für die Kunden und den Markt besonders wichtig ist, ist die stabile Beziehung der drei genannten Partner, die noch viele Jahre andauern wird.
Die nächste IFA ist nicht mehr weit weg – welche Schwerpunkte setzen Sie?
Es ist eine gesunde Mischung. Wir wissen um die Geschichte und die Stärken der Messe. Wir wissen, dass wir als wichtige – DIE wichtigste – Messe für CE und HA eine gute Ausgangsposition haben. Wir erkennen aber auch an, dass wir in einigen Bereichen noch besser werden können. Können wir zum Beispiel mehr tun in den Bereichen – Gaming, AI, oder Digitale Gesundheit? Ganz sicher. Also – packen wir es an!
„Die letzten Jahre haben gezeigt, dass es nichts Besseres gibt als den persönlichen Kontakt."
Wir haben auch spannende Verbesserungspläne, im Bereich Content sowie bei der Kundenkommunikation. Sie können sich in diesem Jahr auf eine stark erweiterte IFA Next freuen, da wir die Strategie verfolgen, die Wahrnehmung der IFA in diesen entscheidenden Bereich zu lenken, der für das Innovations- und Startup-Ökosystem in Deutschland und Europa entscheidend ist.
Wir wollen auch die Nähe zu Berlin und den Menschen stärken. Sie können in der ersten Septemberwoche mit vielen Aktivitäten in der Stadt und außerhalb des Messegeländes rechnen.
Gute Arbeitnehmer sind umkämpft. Hat Clarion bei dem kurzen Vorlauf überhaupt genug Mitarbeiter um das Mega-Format IFA erfolgreich zu stemmen?
Ja. Wir haben eine gute Mischung aus ehemaligen Mitarbeitern der Messe Berlin und neuen Mitarbeitern von Clarion. Wir haben jetzt ein Team von 25 Mitarbeitern, die an dem Projekt arbeiten.
Nach Ihren ersten Kontakten mit der ausstellenden Industrie: Wie ist die Resonanz?
Sehr positiv. Alle Kunden und die Presse, die wir getroffen haben, akzeptieren unseren ausgewogenen Ansatz, unsere herausragende Position als weltweit führende Messe für CE und Home Appliances zu halten und gleichzeitig die Notwendigkeit zu sehen, in den anderen Bereichen, die wir oben erwähnt haben, mitzuwirken. Wir werden uns nicht auf den Erfolgen der Vergangenheit ausruhen und ich bin in ständigem Austausch mit Kunden, Medien und Einkaufsverbänden des Einzelhandels.
Welche Fachbesucher-Services wird es 2023 geben?
Für 2023 suchen wir weiterhin nach Möglichkeiten, unser Angebot für Fachbesucher zu verbessern. Wir werden vor der Messe eine fortschrittlichere, benutzerfreundliche Veranstaltungs-App zur Verfügung stellen, mit der Fachbesucher ihre Reise planen und Unternehmen finden können, die sie treffen möchten, sowie Zugang zu Inhalten vor, während und nach der Messe haben. Sie erhalten zudem ein kostenloses Abonnement für Dealerscope, mit der Möglichkeit zum Austausch und vieles mehr. Zudem gibt es ein gezieltes AI-Matchmaking sowie maßgeschneiderte Inhalte vor und während der Veranstaltung, die von Experten für Verbrauchertrends und Einzelhandelstechnologie gestaltet werden. Privat organisierte AI-Touren über die Messe, Online-Live-Demos vor der Messe, eine Vorschau auf unsere Messehighlights und ein privater interaktiver Roundtable mit einem Einzelhandelsexperten runden das Angebot ab.
Wie beziehen Sie den Handel in Ihre IFA-Planung mit ein?
Für das Jahr 2023 wollen wir einen kontinuierlichen Dialog mit den wichtigsten Fachbesuchern aufbauen, um die Inhalte und die wichtigsten Ausstellungsbereiche der IFA weiterzuentwickeln. Wir möchten unsere Besucher dabei unterstützen, auf der Veranstaltung sinnvolle Geschäftsbeziehungen aufzubauen und ihre Ziele beim Besuch der IFA zu erreichen. Wir möchten auch wichtige Führungskräfte der Branche zur Teilnahme an unserer IFA-Beratungsgruppe einladen, um die strategische Richtung zu entwickeln und den Inhalt der Fachbesucherinitiativen zu gestalten. Unser Team hat im Jahr 2022 mit der primären und sekundären Forschung begonnen, die jedoch bis 2023 fortgesetzt wird. Um inhaltliche Schwerpunkte zu entwickeln, ist es wichtig, die Ziele unserer wichtigsten Fachbesucher zu verstehen, um ihren Interessen besser gerecht zu werden. Für 2023 werden wir im Vorfeld der Veranstaltung Roundtablegespräche (virtuell und persönlich) veranstalten, um die Ziele unserer Fachbesucher zu verstehen und ein unvergleichliches Programm für 2023 zu entwickeln.
Herr Merlin, vielen Dank für das Gespräch.
FOTOS: MESSE BERLIN, CLARION
Autor: Joachim Dünkelmann
Dieser Artikel ist erstmals erschienen am 7. Februar 2023 in der Printausgabe von hitec Magazin, Ausgabe 1-2/2023.