Will Apple und Co. "an den Kragen": Anna Cavazzini, Grüne/EFA-Fraktion
FOTO: ANNA CAVAZZINI
Betroffen sind von dem Regelwerk folgende Geräte: Haushaltswaschmaschinen und -trockner, Haushaltsgeschirrspüler, Kühlgeräte, elektronische Displays, Schweißgeräte, Staubsauger sowie Server und Datenspeicherungsvorrichtungen. Später in die Liste aufgenommen werden Mobiltelefone, Schnurlostelefone und Tablets. So viel vorweg: Der Handel ist durch die geplante Vorschrift (Stand heute) weitgehend nicht unmittelbar betroffen. Das Regelwerk greift erst nach dem Kauf ein und bleibt somit zuerst einmal ohne direkte Auswirkungen auf Kaufvertrag und Gewährleistungsrechte - mit Ausnahme des eingeschränkten Wahlrechts auf Ersatz oder Nachbesserung. Die neuen Verbraucherrechte auf Reparatur setzen in der Regel beim Hersteller an – dazu später mehr im Detail. Der Händler ist durch das „Right to Repair" nur dann unmittelbar betroffen, wenn er entweder selbst Importeur ist und damit auch sonst mit den gleichen Pflichten und Haftungen wie ein Hersteller konfrontiert ist. Oder aber, ein Händler bietet selbst auch Reparaturdienstleistungen an – dann gibt es künftig (je nach weiterem Gesetzgebungsverfahren) eine Reihe von Dingen, die es zu beachten gilt.
Will einen positiven Beitrag zur Kreislaufwirtschaft: Didier Reynders, EU-Justizkommissar
FOTO: EU COMMISSION, PHOTOGRAPHER AURORE MARTIGNONI
Warum das Ganze? Die Vorsitzende des Ausschusses für Binnenmarkt und Verbraucherschutz und Verhandlungsführerin für das Recht auf Reparatur für die Grüne/EFA-Fraktion Anna Cavazzini bringt ihre Ziele folgendermaßen auf den Punkt: „Heimwerker, Tüftler*innen und unabhängige Werkstätten brauchen Zugang zu Ersatzteilen und Anleitungen, damit Apple und Co. nicht länger die Regeln der Reparatur diktieren können. Schließlich müssen wir für eine funktionierende Kreislaufwirtschaft Hersteller*innen stärker in die Verantwortung nehmen, was mit ihrem Produkt in dessen Lebenszeit über Reparatur bis zum Recycling geschieht." Das macht schon klar, wohin die Reise gehen soll: Mit dem europäischen Recht auf Reparatur heißt es reparieren statt wegwerfen. Was sich anhört wie der Schlachtruf von Wertgarantie nimmt die Hersteller weitreichend in die Pflicht. Der zuständige EU-Kommissar für Justiz und Verbraucherschutz Didier Reynders lässt keinen Zweifel: „Mit diesen neuen Maßnahmen werden die Verbraucher/innen die Instrumente erhalten, die sie benötigen, um sich für eine Reparatur zu entscheiden und einen positiven Beitrag zur Kreislaufwirtschaft zu leisten. Damit wird auch eine wichtige Botschaft an die Unternehmen gesendet, dass sich nachhaltige Geschäftsmodelle und Investitionen in Reparaturen auszahlen." In Klartext: Die Eurokraten gehen tatsächlich davon aus, dass auf Herstellerseite in den kommenden 15 Jahren Einsparungen in Höhe von rund 15,6 Mrd. Euro erzielt werden können, da Waren nicht länger im Rahmen der gesetzlichen Garantie kostenlos ersetzt, sondern repariert werden. Wie das genau funktionieren soll? Die Antworten hierauf konnte Ihr hitec-Team bis Redaktionsschluss nicht recherchieren – und fraglich ist, ob plausible Antworten jemals rauskommen ...
Das „Pflichtenheft" des Regelwerks wird teuer. Im Paket geschnürt:
Wie sieht's die Industrie? Laut dem ZVEI ist der Kommissionsvorschlag ein wichtiger Schritt zur Stärkung der Reparaturkultur. Carine Chardon, Bereichsleiterin Consumer beim ZVEI: „Im Defektfall ist eine Reparatur vorzuziehen. Denn in vielen Fällen ist unter Abwägung von Herstellung, Transport, Nutzung und Entsorgung eine Reparatur ökologisch sinnvoll. Der ZVEI hält den Kommissionsvorschlag für geeignet, die Reparaturkultur zu stärken und zu fördern. Wichtig ist, dass es einen europäischen Rahmen für das Recht auf Reparatur gibt und es damit nicht zu unterschiedlichen nationalen Regelungen kommen kann. Der Vorschlag der EU-Kommission geht in die richtige Richtung." Der IT-Industrie geht die Vorlage aus Brüssel nicht weit genug. Bitkom-Hauptgeschäftsführer Dr. Bernhard Rohleder: „Ein gesetzlich verbrieftes ‚Recht auf Reparatur' kann zur Langlebigkeit der Geräte beitragen, es reicht aber nicht aus. Wer Reparaturen von Geräten fördern will, muss die richtigen Anreize setzen. Eine Mehrwertsteuersenkung auf Ersatzteile und Reparaturdienstleistungen für IT-Hardware wie Smartphones und Laptops wäre ein solcher Anreiz, der direkt und unmittelbar wirkt." Damit einher müsste auch eine Förderung zur Nutzung wiederaufbereiteter Produkte (Refurbished-IT) gehen.
Wünscht sich eine Mehrwertsteuersenkung auf Reparaturen: Bernhard Rohleder, Bitkom
FOTO: BITKOM
Das Kapitel ist noch nicht abgeschlossen. So gibt es neben dem Kommissionsvorschlag vor allem aus dem EU-Parlament, insbesondere in Person der Grünen-Politikerin Cavazzini, noch jede Menge „Verbesserungsvorschläge". So wird das Thema die Branche die nächsten Monate noch intensiv beschäftigen. Auch, wenn das Recht auf Reparatur frühestens in 16 Monaten zu europäischem Recht und noch viel später national umgesetzt wird, lohnt es sich schon jetzt, sich mit dem Thema intensiv auseinander zu setzen ...
FOTOS: DUH DEUTSCHE UMWELTHILFE, EU KOMMISSION, ZVEI, BITKOM, ANNA CAVAZZINI
Autor: Joachim Dünkelmann
Dieser Artikel ist am 29. März 2023 erstmals erschienen in "hitec news", dem 14-tägigen Branchen-Newsletter.