Almuth Schult: Die Torlinientechnik erachte ich als sehr sinnvoll, weil sie ein eindeutiges und faires Ergebnis liefert. Ich bin sehr froh, dass es sie gibt und könnte mir auch gut eine Erweiterung zu den anderen Begrenzungslinien des Spielfeldes vorstellen.
Und der Video-Assistent?
Beim Video-Assistenten ist meine Meinung nicht so klar. Er kann sinnvoll sein und Entscheidungen präziser machen. Allerdings kann man über viele Aspekte diskutieren – beispielsweise wann und wie eingegriffen wird. Das ist alles Interpretationssache und durch das Ermessen der Schiedsrichter fühlen sich doch immer wieder Mannschaften benachteiligt. Dazu kommt die enorme Zeit der Spielunterbrechungen dazu, was mich selbst oft nervt. Die subjektive Einschätzung spielt beim VAR immer noch eine sehr große Rolle.
Sympathische Botschafterin des Frauenfußballs: Almuth Schult
Wie bewerten Sie den Streit wegen der Vergabe der TV-Rechte?
Es ist wichtig, dass darüber diskutiert wird und zeigt die gesteigerte Aufmerksamkeit der Sportart. Dennoch darf der Prozess so nicht laufen. Die Ausschreibung kam viel zu spät, das darf nicht erst ein halbes Jahr vor dem Turnier geschehen. Und es ist auch ein Unding, dass zwei Monate vor Turnierbeginn keine Einigung bzw. Entscheidung steht. Für alle Seiten unbefriedigend und die, die am meisten darunter leiden sind die Fans und die Spielerinnen. Ich hoffe, dass es bald eine Lösung gibt.
Sie sind seit drei Jahren Mutter von Zwillingen. Wie hat das Ihren Blick verändert?
Es hat eher mein Leben verändert als meinen Blick. Ich bin schon immer ein Familienmensch gewesen, für den Fußball nicht der Mittelpunkt des Lebens ist. Ich liebe den Fußball, sehe ihn als meine Leidenschaft und auch glücklicherweise als meinen Beruf. Aber ich hätte immer alles stehen und liegen lassen für einen Notfall in der Familie oder bei Freunden. Der Blick wurde eher darauf gerichtet, zu erkennen, was man braucht oder auch verbessern kann für Mütter im Sport.
Was ist die größte Herausforderung in Ihrem Alltag?
Natürlich die Betreuung der Kinder mit dem Beruf meines Mannes und meines eigenen zu vereinbaren. Vor allem, wenn etwas Unerwartetes hinzukommt, wie eine Erkrankung oder ein Kindergartenausfall.
Wie vereinbaren Sie als Leistungssportlerin Kinder und Beruf?
Der große Unterschied zu vielen anderen Berufen besteht in der Fremdbestimmung. Ich kann meine Arbeitszeit nicht selbst koordinieren, sondern bekomme einen Plan von meinem Arbeitgeber vorgelegt, dem ich genau Folge zu leisten habe. Es gibt keine Gleitzeit und es ist auch schlecht, plötzlich nicht zu erscheinen zum Training, Spieltag oder Dienstreise. Wenn das passieren sollte, kostet es vermutlich den Platz im Kader, in der Startelf oder den Vertrag.
„Die Torlinientechnik erachte ich als sehr sinnvoll, weil sie ein eindeutiges und faires Ergebnis liefert", so Almuth Schult
Man muss also eine nahezu 100%ige Teilnahme garantieren. Des Weiteren sind die Arbeitszeiten nicht Montag bis Freitag von 8-17 Uhr, sondern variieren Montag bis Sonntag und auch feiertags von 8-23 Uhr. Jede Woche kann anders aussehen und das macht eine Kinder-Betreuung manchmal zur Herausforderung. Von daher ist es wichtig, dass mein Partner da flexibler aufgestellt ist in seinem Job und wir auf Oma und Opa der Kinder zählen können.
Was würden Sie sich für Mütter wünschen, die Leistungssportlerin sind? Ganz praktisch?
Es wäre von Vorteil, wenn es beispielsweise KiTas und Kindergärten vereinsintern geben würde oder an Olympiastützpunkten. Oder, dass man Kinder mehr einbinden, könnte ins Vereinsleben - was nach meinem Gefühl auch immer mehr akzeptiert wird.
Und was funktioniert da schon überraschend gut?
Nach teilweiser anfänglicher Skepsis wurde die Begleitung der Kinder nach meinem Empfinden als positiv wahrgenommen. Zum Beispiel bei der Europameisterschaft 2022 in England hatte man im Nachgang das Gefühl, dass sie einen kleinen Teil zu der guten Leistung der Mannschaft beigetragen haben.
Und was wäre Ihr Wunsch? Wie kann man es für Mütter noch attraktiver machen, weiter Leistungssport zu betreiben?
Mein Wunsch wäre, dass man allen Müttern ein Gefühl der Sicherheit und der Hilfe vermittelt und ihnen so die Angst nimmt. Dass man jede neue Herausforderung gemeinsam meistert und eine individuelle Lösung findet. Unterstützung ist das Wichtigste und die Bedürfnisse sind immer unterschiedlich. Bei der einen vielleicht mehr finanzieller Natur, bei der anderen eher in der Organisation. Bei vielen fängt es schon mit Konzepten an in Hinblick auf Sport in der Schwangerschaft, Hilfe bei der Rückbildung und des Wiedereinstiegs ins Training. Viele Vereine und Verbände haben dort noch keine konkreten Gedankengänge und Pläne. So etwas könnte helfen.
Sie sind weiter als Markenbotschafterin von Euronics unterwegs. Was hat Sie bei der Zusammenarbeit mit den Ditzingern am meisten überrascht?
Die Zusammenarbeit mit Euronics war von Anfang an von einem guten Gefühl begleitet. Es war nicht nur die Zusammenarbeit mit mir, sondern dieses Gesamtpaket für die Sportart. Dieses Bekenntnis zum Frauenfußball war und ist herausragend, es ist eine richtige Begeisterung zu spüren.
Almuth Schult ist weiterhin Markenbotschaftern von Euronics und Teil der neuen Kampagne
Wie begeistert man aus Ihrer Sicht mehr Mädchen für Fußball?
Um Menschen zu begeistern, braucht es in der Regel Vorbilder. Und so ist es auch für Mädchen im Fußball. Diese Vorbilder werden glücklicherweise immer sichtbarer in der Medienwelt, das war zu meiner Jugendzeit noch ganz anders. Damit verbunden sind Geschichten, die eine Identifikation schaffen. Daran anknüpfend benötigt man noch ein Fördersystem, d. h. Vereine und Verbände mit Infrastruktur und Engagement.
Wer hat Sie eigentlich für den Fußball begeistert?
Ich habe drei ältere Geschwister und mein nächstälterer Bruder hat angefangen Fußball zu spielen. Die kleine Schwester wollte das dann natürlich ebenfalls ausprobieren. Ich habe nebenbei noch viele andere Sportarten ausprobiert wie Judo, Luftpistole schießen, Tischtennis, Badminton und noch einiges anderes. Aber Fußball hat mich von Anfang an begeistert und ich bin dabeigeblieben.
Immer mehr Männer-Vereine pushen Frauen-Fußballvereine. Dafür steigen alteingesessene Traditionsvereine wie Turbine Potsdam ab. Wie stehen Sie dazu?
Ich bin da sehr zwiespältig. Zum einen wünsche ich mir den Erfolg der Traditionsvereine im Frauenbereich, um die Geschichte weiter zu erzählen und ihrem Verdienst gerecht zu werden. Allerdings ist es schwierig für sie eine gute Infrastruktur im Trainingsbetrieb zu stellen und finanziell mitzuhalten. Für die Männervereine spricht die vorhandene Infrastruktur und die Bekanntheit. Gerade durch Letzteres werden vielleicht noch mehr Mädels erreicht und begeistert. Wenn beispielsweise schon die Eltern Fan von Borussia Dortmund waren, ist es ein Anreiz, dass es endlich auch für Mädchen die Möglichkeit gibt, in diesem Trikot zu spielen.
Welche Vorteile hat es, im Studio statt im Tor zu stehen?
Der Vorteil ist, dass man keine körperliche Fitness benötigt. Man kann zum Beispiel auch schwanger ein Spiel im Studio begleiten. Dazu kommt ein anderer Blickwinkel, andere Erlebnisse, andere Mitarbeiter – aber eine Stadionatmosphäre ist mit dem Studio nicht vergleichbar. Es hat alles Vor- und Nachteile und ich bin dankbar, beides erleben zu dürfen.
Wenn Sie ein Jahr auf einer Insel leben müssten und Sie dürften nur ein Elektrogerät mitnehmen – außer einem Smartphone. Welches wäre das und warum?
Das ist eine sehr gute Frage. Wenn es auf der Insel kalt wäre, würde ich mich vielleicht für eine Heizdecke entscheiden. Und ansonsten vermutlich etwas Praktisches wie eine Kochmöglichkeit oder eine Waschmaschine. Ich schätze es ungemein, dass es so etwas gibt und kann mir nicht vorstellen, wie viel Arbeit es sein muss, im Alltag alles händisch zu erledigen.
Frau Schult, vielen Dank für das Gespräch.
FOTOS: EURONICS
Autor: Steffen Kahnt
Dieser Artikel ist erstmals erschienen in der Printausgabe von hitec Magazin, Ausgabe 7-8 / 2023.